Baukultur – ein gesellschaftlicher Prozess

  • Von Gina Doormann
  • Veröffentlicht 11. Februar 2016
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Baukultur geht jeden etwas an: Die gebaute Umwelt begleitet uns alle tagtäglich. Selbstverständlich sind Architekten und Stadtplaner die ersten Denker und Akteure bei der Gestaltung unserer Städte. Die Menschen aber, die sie jeden Tag erleben, begehen und erfahren, machen sie lebendig.

Es ist die Aufgabe von Planern, Baukultur zu denken und zu schaffen. Orte zu inszenieren, die spürbar sind, sich gut anfühlen und Wohlgefühl schaffen.

Baukultur entsteht letztlich im Zusammenspiel von gebauter Umwelt und ihren Nutzern.

Umstrittene Cityhochhäuser Hamburg © Gina Doormann

Umstrittene Cityhochhäuser Hamburg © Gina Doormann

Wovon sprechen wir?

Die eine Definition von Baukultur gibt es eigentlich gar nicht. Sie sei Produkt und Ausdruck der Gesellschaft, sagen die einen. Vielmehr sei sie ein maßgeblicher Standort- und Wirtschaftsfaktor, konstatieren die anderen. Einig sind sich alle Definitionsströmungen darin, dass sie etwas durchweg Positives ist. Sie verbessert das Lebensumfeld, schafft einen ansehnlichen Mehrwert und dient dem Streben nach gesteigerter Qualität der gebauten Umwelt.

Beim Denken an Baukultur ist es wichtig, jede Scheu abzulegen. Die Furcht, man sei „nicht Experte genug“, um etwas dazu zu sagen, sorgt für eine Entfremdung des Begriffs.

Was uns fehlt, ist eine echte Auseinandersetzung über Baukultur. Die Ursache dafür liegt aber nicht im mangelnden Interesse. Nie wurde so viel über Stadt und Architektur geschrieben wie heute. Aber nur selten geht es um das, was wirklich alle angeht, sondern um Sensationen (…) (Tim Rieniets für Bundesstiftung Baukultur)

Mit Sensationen meint Tim Rieniets beispielsweise das Wirken von Stararchitekten. Baukultur geht jedoch über Diskussionen auf dieser Ebene hinaus: Dass sie jeden betrifft, meint das Aufgreifen von Debatten etwa über steigende Wohnungspreise demnach ebenso wie über die Herkunft und Entstehung verwendeter Baumaterialien.

Baukultur in der urbanen Umwelt

Kann man Baukultur eigentlich sehen? In erster Instanz: ja. Die architektonische Gestaltung und Anordnung der stadtbildenden Gebäude schafft Räume und Perspektiven, die Menschen beeinflussen. Im Sinne positiv gedachter Baukultur sprechen wir dann von der Abschaffung von Angsträumen, von Gebäudeansichten, die zur Stimmung in Straßenzügen beitragen und Infrastruktur, die in schlüssiger Weise leitet anstatt zu verwirren. Wenn wir Baukultur sehen, dann nehmen wir deutlich den Begriff „Kultur“ wahr. Das sind in Hamburg beispielsweise die prägenden Klinkerbauten, die in ihrer roten Heimeligkeit sagen: Du bist in Hamburg, so ist diese Stadt.

In zweiter Instanz handelt es sich nicht um einen fest konnotierten und sofort greifbaren Begriff. Er meint Entwicklung, Geschichte, Einflussnahme – aber auch Kunst am Bau, die so vielfältig ist wie der Kunstbegriff. Sie ist sicherlich mitunter auch eine Haltung, etwa die der Bewohner zu ihrer gebauten Umwelt. Ist zum Beispiel ein Graffitikünstler jemand, der Gebäude verschandelt oder jemand, der sie zum Teil seiner Lebenswirklichkeit macht? Ist seine Form der Interaktion mit umgebender Architektur wirklich negativer zu bewerten als die eines Anwohners, der Blumen im öffentlichen Raum pflanzt?

Baukultur und Denkmalschutz

Unter dem Oberbegriff Baukultur wird sehr oft der Denkmalschutz diskutiert. Der Erhalt baulicher Zeugnisse unserer Geschichte dient zugleich dem Bewahren von Kultur. Als kulturelles Erbe geben Baudenkmale Auskunft über Baustile und Lebensweisen der uns vorhergehenden Generationen. Ihre Einwirkung auf die gebaute Umwelt hatte einen großen Einfluss darauf, was unsere Gesellschaft heute ausmacht. Das bauliche Eingreifen unserer Vorfahren und früherer Architektengenerationen hat unser urbanes Umfeld maßgeblich beeinflusst.

Aufgestocktes Gebäude an der Elbe in Hamburg © Gina Doormann

Aufgestocktes Gebäude an der Elbe in Hamburg © Gina Doormann

Andererseits erzählen Denkmale – oder deren Überreste – wie Menschen mit den Spuren der von ihnen in gleich welcher Form mitgetragenen Kriege umgegangen sind. Abriss und Verdrängung? Umgestaltung und Neubeginn? Wiederaufbau nach altem Vorbild und Festhalten an Traditionen? Baukultur zieht sich durch die Geschichte und in diesem Kontext ist es folgerichtig, Denkmalschutz als Teil von ihr zu betrachten.

Baukultur und Förderung durch die Bundesregierung

Baukultur ist nicht mehr alleinige Sache bürgerlicher Initiativen. Längst hat sich auch die Regierung ihrer angenommen. Der Bund betrachtet sie als Bestandteil einer nachhaltigen Stadtentwicklungspolitik. Sie hat für ihn den Stellenwert eines Antriebs für die Qualität des Planens und Bauens – auch im internationalen Kontext. Der Bund ist zudem ein wichtiger öffentlicher Bauherr und engagiert sich im Netzwerk der Baukulturakteure.

Dies sind die von der Bundesregierung zur Stärkung der Baukultur in Deutschland ergriffenen Maßnahmen:

Sie
• wirkt im Rahmen ihrer Zuständigkeit für die Stärkung in Deutschland,
• führt Forschungsprojekte und Veranstaltungen durch,
• hat die Bundesstiftung Baukultur gegründet,
• übernimmt Bauaufgaben des Bundes einschließlich Kunst am Bau,
• verbessert die Rahmenbedingungen für die planenden Berufe,
• fördert die Baukultur im nationalen und internationalen Kontext.
(bmub.bund.de)  

Die Bundesregierung legt darüber hinaus ein besonderes Augenmerk auf Baukultur vor dem Hintergrund aktueller Herausforderungen wie Flüchtlingsmigration, EnEV-Anforderungen sowie dem steigenden Bedarf an bezahlbarem Wohnraum. Hierbei schaut sie nicht nur auf die Großstädte, sondern auch auf den regionalen und infrastrukturellen Bereich.

Deutschland braucht anständigen Wohnraum in lebenswerten Quartieren. Orte, in denen man gerne wohnt und Plätze, auf denen man sich gerne trifft. (bmub.bund.de)

Um die genannten Ziele durchzusetzen, wurde am 22. Dezember 2006 das Gesetz zur Errichtung einer „Bundesstiftung Baukultur“ erlassen. Die Stiftung nahm daraufhin zum 01. März 2008 in Potsdam ihre Tätigkeit auf. Sie setzt sich für hochwertiges und reflektiertes Planen und Bauen ein. Dabei ist das Ziel der Arbeit, das Erscheinungsbild und den Zustand der gebauten Umwelt als öffentliches Thema zu positionieren.

Baukultur als Schlüssel zum Erfolg: Baukultur ist wesentlich, um eine Umwelt zu schaffen, die als lebenswert empfunden wird. Sie hat neben sozialen, ökologischen und ökonomischen Bezügen auch eine emotionale und ästhetische Dimension.
(Auszug aus dem Baukulturbericht 2014/15)

Die Bundesstiftung ist eine unabhängige Schnittstelle, die bestehende Netzwerke festigt und an ihrer Erweiterung mitwirkt. Die Potsdamer Stiftung ist Herausgeberin des Baukulturberichtes. In dem kostenfreien Download erfahren Interessierte mehr zur Lage in Deutschland.

Regionales Engagement

Sie waren als Graswurzelbewegung lange vor der Bundesregierung im Einsatz für die Baukultur: regionale Initiativen. Oft sind ihre Gründer Architektinnen und Architekten, die sich zusammenschließen und mit Veranstaltungen, Barcamps und Veröffentlichungen den Baukultur-Diskurs für eine bestimmte Region anstoßen. Sei es auf Landesebene oder auf der einer mittelgroßen Stadt: Das Engagement der Einzelnen bringt den baukulturellen Gedanken zu den Menschen. Durch diese Initiativen erhalten alle Nutzer der gebauten Umwelt Teilhabe. Im Folgenden sind beispielhaft ein paar dieser regionalen Initiativen genannt:

  • Baukultur, Paderborn: Die freie Architektin Karin Hartmann hat die Initiative in Paderborn ins Leben gerufen, um den Diskurs in ihrer Heimatstadt anzuregen.
  • Landesinitiative StadtBauKultur NRW 2020: Die Initiative setzt sich für eine nachhaltige und lebenswerte bauliche Umwelt in NRW ein. Sie hat sich zur Aufgabe gemacht, Bewusstsein und Engagement für die Baukultur bei Entscheidern und Bürgern gleichermaßen zu wecken und zu stärken. Der Vorsitzende ist Tim Rieniets.
  • Netzwerk Baukultur Niedersachsen: Seit dem 27. November 2009 ist das Netzwerk aktiv. Es wurde vom Land Niedersachsen initiiert und hat das Ziel, das niedersächsische baukulturelle Engagement von Privatpersonen zu bündeln. So soll ein gemeinsames wirkungsvolles Handeln ermöglicht werden.

Fazit

Baukultur ist ein gesellschaftlicher Prozess, der über die architektonische Gestaltung von Gebäuden und Stadträumen hinausgeht. Im Grunde genommen ist sie als ein Schlüssel zu begreifen, der jedem Bewohner des gebauten Raums ermöglicht, gesellschaftlichen, aber auch ökonomischen Mehrwert zu schaffen. Um sie zu fördern, zu diskutieren oder zu gestalten, ist es nicht notwendig, zu den Architekten und Stadtplanern zu zählen.

(von Gina Doormann)

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