Die Herausforderung: Von Menschenhand geschaffene Konstruktionen mit einem geringen ökologischen „Fußabdruck“ versehen
Im Lebenszyklus (engl. life cycle) eines Gebäudes macht dessen Betrieb den größten Anteil am Energieverbrauch und Ausstoß von Emissionen aus. Dafür verantwortlich sind vor allem die Raumkonditionierung (Heizung, Kühlung, Lüftung, Beleuchtung) und Warmwasseraufbereitung. Um dem entgegenzuwirken, existieren seit den 1970er Jahren gesetzliche Vorgaben für den Energieverbrauch von Neubauten in der aktiven Nutzungsphase, z. B. die Wärmeschutzverordnung (seit 1976) und die Energieeinsparverordnung (seit 2002).
Erschwerend kommt aber hinzu, dass laut Dipl.-Ing. Joost Hartwig (TU Darmstadt) mehr als zwei Drittel der Gebäude in Deutschland vor 1979 errichtet wurden und nicht einmal die Vorgaben der ersten Wärmeschutzverordnung erfüllen würden. Zugleich ist die Neubauquote in Deutschland gering, weshalb es mehrere Jahrzehnte dauern werde, bis alle Bestandsgebäude mit viel Bedarf an Heizwärme auf eine energieeffiziente Funktionsweise optimiert würden.
Die Sektorziele der Bundesregierung im Klimaschutzplan 2050. Quelle: BMUB
Gemäß Klimaschutzplan 2050 sieht die Bundesregierung im „Fahrplan für einen nahezu klimaneutralen Gebäudebestand“ vor, dass bis 2030 eine Emissionsminderung um zwei Drittel (gegenüber 1990) vollzogen werden soll. „Das wird über anspruchsvolle Neubaustandards, langfristige Sanierungsstrategien und die schrittweise Abkehr von fossilen Heizungssystemen geschehen.“, meint das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (2017).
Weil nur der Neubau das Umweltproblem also nicht lösen wird, nimmt die energetische Sanierung der Bestandsgebäude einen wichtigen Stellenwert ein. Zur Analyse der zu erwartenden Umweltauswirkungen während der Lebenszeit eines Gebäudes dient die sogenannte Ökobilanzierung.
Was umfasst die Ökobilanz?
Die Ökobilanz analysiert den gesamten Lebensweg eines Produktes oder Serviceangebots. Sie kann auch für die (ökologische) Untersuchung von Verfahren und Prozessen angewendet werden, was auch getan wird. Hierbei soll es aber um den Lebenszyklus-Analyse eines Gebäudes gehen. Gebräuchlich ist dafür auch die englische Bezeichnung „Life Cycle Assessment“ (kurz: LCA). Dazu betrachtet man alle Abschnitte der Existenz eines Gebäudes, von der „Wiege“ bis zur „Bahre“:
- Rohstoffgewinnung
- Herstellung der Gebäudekonstruktion
- Verarbeitung
- Transport
- Betrieb (Nutzung bzw. Nachnutzung)
- Abriss
- Entsorgung
Aus der Bilanz können dann beispielsweise Schritte zur Optimierung der Herstellungs-, Nutzungs- und Entsorgungsprozesse abgeleitet werden. Wie umfangreich diese Optimierung vollzogen wird, hängt von der tatsächlich erstellten Ökobilanz ab. Denn auch nur die Teilbetrachtung eines Abschnittes, beispielsweise die Herstellung des Produkts bis vor die Werkstore, kann Gegenstand der Betrachtung sein.
Richtet man sich nach der ISO-Norm 14040 umfasst eine vollständige Ökobilanz diese vier Teile:
- Festlegung von Ziel und Untersuchungsrahmen
- Sachbilanz
- Wirkungsabschätzung
- Auswertung
Gemeinsam mit der ISO 14044 bildet sie den Standard für eine ISO-konforme Ökobilanzierung in Deutschland.
Lebenszyklus und Ökoanalyse eines Produkts, Prozesses oder einer Aktivität. Quelle: Wikimedia. Autor: Gohhong. Lizenz: CC BY-SA 3.0
Zudem hat die Deutsche Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB) weitere Festlegungen definiert, die sich speziell auf die Ökobilanzierung von Gebäuden beziehen und unterschiedliche Gebäude direkt vergleichbar macht. Derlei Kriterien sind u. a. die Nutzungsdauer des Gebäudes (50 Jahre) oder die eingesetzten Bauteile.
Ziel und Untersuchungsrahmen
Wofür möchten Sie die Ökobilanz verwenden und was bezwecken Sie damit? Diese Fragen beantworten Sie im ersten Schritt, den Sie bitte mit der nötigen Sorgfalt begehen, da er alle weiteren Entscheidungen beeinflusst.
Danach legen Sie den Nutzen und die Funktionen des Produktes (Gebäudes) fest und definieren dessen grundsätzlichen Lebensweg (von der Rohstoffgewinnung bis zur Entsorgung). Berücksichtigen Sie ebenfalls Wechselbeziehungen mit anderen Stoffen und halten Sie Annahmen und Einschränkungen fest. Über Ausschlusskriterien beschreiben Sie außerdem, welche Prozessmodule zum Lebensweg des Produkts gehören. Man spricht hier auch von der Definition einer „funktionellen Einheit“. Mithilfe dieser Einheit sind Sie später in der Lage, dessen Umweltwirkungen ganz genau zu betrachten.
Sachbilanz
Im zweiten Schritt werden sämtliche Stoff- und Energieströme dargestellt, die das Produkt im gesamten Zyklus durchlebt. Gemeint sind Ströme, die in das System eingehen (Input) oder es verlassen (Output). Das sind z. B. Ressourcen, Energie, aber auch Emissionen aus der Luft, dem Wasser, dem Boden oder Abfälle.
Wirkungsabschätzung
Die Daten aus der Sachbilanz werden nun den Umweltwirkungen (geordnet nach Wirkungskategorien) zugewiesen. Jene Wirkungskategorien können beispielsweise sein:
- der Primärenergiebedarf aus erneuerbaren Energien
- das Treibhaus-, Versauerungs- oder Ozonabbaupotenzial
Mithilfe eines Software-Tools (siehe nachfolgender Abschnitt) kann der Computer nun die zu erwartenden Umwelteinwirkungen auf das Produkt, also die in Schritt 1 erstellte funktionelle Einheit, berechnen.
Auswertung
Abschließend werden die für das Ergebnis relevanten Parameter (z. B. einzelne Abschnitte im Lebensweg oder Wirkungskategorien) identifiziert. Außerdem folgt die Konsistenz-, Vollständigkeits- und Sensitivitätsanalyse.
Aus den Ergebnissen der Sachbilanz und Wirkungsabschätzung können dann Schlussfolgerungen und Empfehlungen in einem Bericht ausgesprochen werden, die sich an den definierten Zielsetzungen orientieren. Wie die Bewertung ausfällt, ist stark subjektiv, je nachdem wie Sie einzelne Umweltauswirkungen (z. B. das Treibhauspotenzial im Vergleich zum Ozonabbaupotenzial) gewichten.
Wie erstelle ich selbst eine Ökobilanz und was kann ich damit anfangen?
Wenn Sie wissen möchten, zu welchem Anteil Ihr Gebäude am Treibhauseffekt, Ozonloch, Smog oder sauren Regen beteiligt ist, hilft die Betrachtung des Gesamtzyklus – von der Geburt bis zum Ableben des Gebäudes – sowie die eingesetzte Energie während der Nutzung.
Diese ökologischen Kriterien können Sie als Bauplaner, Architekt, Bauherr oder fachlich Interessierter für ein Gebäude besser einschätzen, indem sie das Ökobilanz-Tool „eLCA“ einsetzen. Das Tool orientiert sich am am Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen (BNB) und wurde vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) erstellt. Die Grundlage der Datensätze bildet die Online-Baustoffdatenbank ÖKOBAUDAT der Bundesregierung. Die zurzeit als Beta-Version erhältliche Software ist für jedermann zugänglich. Einen Einblick gewährt Ihnen Stephan Rössig in separat zur Verfügung gestellten eLCA-Videos bei YouTube. Herr Rössig arbeitet für das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) und ist an der technischen Entwicklung von eLCA beteiligt.
Die ÖKOBAUDAT als zentrale Datengrundlage für die Öko-Auswertung mittels eLCA. Quelle: BMUB
Alternativ bietet die Firma HOINKA GmbH mit Sitz in Sindelfingen ein zunächst kostenloses „Online-Tool für die Ökobilanzierung von Gebäuden“. Die Software ist ebenfalls an die ÖKOBAUDAT-Schnittstelle angebunden und erstellt Ökobilanzen für DGNB-, LEED- und BREEAM-Projekte.
Zwar spezifiziert weder ISO 14040 noch ISO 14044 genaue Anwendungen nach der Ökobilanzierung, dennoch können Sie die Ergebnisse Ihrer erfolgten Ökobilanz anschließend beispielsweise in der erwähnten Datenbank ÖKOBAUDAT oder in sogenannten Umwelt-Produktdeklarationen (EPDs) veröffentlichen.
Fazit: Der Sinn von Ökobilanzen im Bauwesen
Die Ergebnisse aus den Ökobilanzen liefern wichtige Daten für die ökologische Bewertung von Gebäuden und zeigen inwiefern sich ein Gebäude auf die Umwelt auswirkt. Dies lässt sich durch Energie- und Stoffströme beschreiben, die während des gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes und der darin verbauten Baustoffe entstehen. Zusammen mit der Baustoffdatenbank ÖKOBAUDAT, in der die Ökobilanzdaten der einzelnen darin enthaltenen Bauprodukte gespeichert sind, kann so die ökologische Analyse und Bilanz eines Bauwerkes vollzogen werden.
Für den Austausch der Ökobilanzen innerhalb der Baubranche haben sich EPDs als Kommunikationsinstrument etabliert. Die Daten sind so aufbereitet, dass sie für die Analyse auf Gebäudeebene herhalten und transparent miteinander geteilt werden können.