Wohnungsbau-Offensiven: Was machen sie mit Architektur und Stadtbild?

  • Von Gina Doormann
  • Veröffentlicht 4. Februar 2017
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Im März 2016 hat Bundesbauministerin Barbara Hendricks eine sogenannte Wohnungsbau-Offensive beschlossen. Das bedeutet, alljährlich sollen künftig bundesweit 350 000 neue Wohnungen fertiggestellt werden. Dieser „Bauboom“ ist im ganzen Land spürbar: in den Quartieren, in den Straßenzügen und selbstverständlich in den Architekturbüros. Auch die Bundesarchitektenkammer hat zu dem 10-Punkte-Programm des Bündnisses für bezahlbares Wohnen und Bauen Stellung bezogen. Mit Stand 19.09.2016 zeigt die Wohnungsbau-Offensive Wirkung: Im Zeitraum Januar bis Juli 2016 gab es 26,1 % mehr genehmigte Wohnungen als im Vorjahreszeitraum, so das Statistische Bundesamt.

Wo so viel gebaut werden soll – insbesondere steht das Vorantreiben des sozialen Wohnungsbaus im Fokus – ist das Thema Kostenreduktion allgegenwärtig. Diese kann über die Instrumente Grundrisse, Konstruktionen, Wettbewerbsverfahren, Planungs- und Bauprozesse gesteuert werden. Doch hierbei haben Architekten keinesfalls freie Handhabe. Stets müssen sie einen Spagat zwischen ihren Rollen als Baukultur-Verfechter einerseits und Treuhänder des Bauherrn andererseits leisten. Insbesondere der kostengünstige Wohnungsbau setzt die linke und rechte Grenze der Planer besonders eng. Die bestehenden und laut Bundesarchitektenkammer dringend zu novellierenden Normen, Regelwerke, aber auch das Budget lassen nur sehr wenig Spielraum. Die Situation von Architekten erinnert oftmals an ein Dilemma. Wird sehr günstig gebaut, muss aus verschiedenen Gründen darauf geachtet werden, den städtebaulichen Aspekt nicht außer Acht zu lassen. Ist, wie es im sozialen Wohnungsbau nun einmal erforderlich ist, die Quadratmeterzahl pro Einheit geringer, so ist es umso wichtiger, das Quartier als Erweiterung des Lebensraums zu begreifen und dementsprechend zu gestalten. Weiterhin ist der Druck der stetigen Kostenoptimierung vorhanden. Da diese durch Optimierung von Flächen und Funktionen reduziert werden können, ist die Wahl in Sachen Typologie sehr beschränkt.

Großsiedlungen als Ergebnis von Einsparungen im sozialen Wohnungsbau?

 Wohnungsbau © CC0 Public Domai

Wohnungsbau © CC0 Public Domain

Ein Ergebnis der Sparzwänge kann das Entstehen uniform wirkender Großsiedlungen sein. Sie sind die Fehler der Siebzigerjahre, in denen die Motivation des Wohnungsbaus eine ähnliche war wir heute. Die Großsiedlungen entstanden an den Stadträndern der Großstädte, Gettoisierung war die natürliche Folge. Wo viele aus gleich welchen Gründen sozial Schwache wohnen, wächst der Frust und mit diesem schlimmstenfalls die Kriminalität. Das soll heute, in Zeiten der Flüchtlingskrise, bereits durch geschicktes bauliches Vorgehen weitestgehend vermieden werden. Doch wie soll das gehen, wenn so viel Wohnraum auf einmal benötigt wird, mehr noch als bereits ohne die vielen Menschen, die „auf einmal“ ebenfalls hier leben möchten? Eine Idee wäre, auf das Bauen von Massenunterkünften zu verzichten, wo es nur irgend möglich ist. Stattdessen könnten kleine Einheiten in allen Stadtteilen von Großstädten geplant werden – dies wäre zugleich eine Möglichkeit, neue und frische Architekturideen zu denken und umzusetzen. Wichtig ist, die stadtplanerischen Fehler vergangener Tage nicht zu wiederholen, den Städten auch in Zeiten des Baubooms nicht ihre Identität zu nehmen. Die Uniformität der Großsiedlungen, insbesondere gebaut an der Peripherie der Städte, dort wo „keiner wohnen will“, dient ohne Frage in keiner Weise dazu, die Eigenheit und Ausstrahlung einer Stadt, die Schönheit eines Quartiers entstehen zu lassen oder zu bewahren. Ein Gefühl von Heimat und Zuhause entsteht dort, wo Besonderheiten eines Ortes, die kleinen Details es sind, die das Liebenswerte an ihm ausmachen.

Wohnungsbau-Offensive am Beispiel Hamburg

Ein Beispiel hierfür ist Hamburg. Im Jahre 2011 versprach Oberbürgermeister Olaf Scholz 6 000 neue Wohnungen pro Jahr – seit April 2016 sollen es sogar noch mehr werden. Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt will künftig für die Hansestadt 10 000 Baugenehmigungen pro Jahr vergeben. Der Anteil der geförderten Wohnungen soll künftig 3 000 betragen – vormals war die Rede nur von 1 000. Da Hamburgs Stadtfläche nun einmal begrenzt ist, soll der Schwerpunkt auf der Nachverdichtung und dem Schließen von Baulücken liegen. Aber auch soll höher und vielgeschossiger gebaut werden. Beides entspricht den Forderungen der Wohnungsbau-Offensive. Stapelfeldt sprach in diesem Zusammenhang von einer Orientierung an der „Kulisse der Gründerzeit“. Geneigte Betrachter der im Entstehen begriffenen vielgeschossigen Bauten fragen sich allerdings zu Recht, wo diese Analogie denn hier zu finden sei. Standard scheint eine einheitlich kubische Form, das Flachdach ist Usus. Dass dies in absehbarer Zeit nicht anders werden wird, zeigt sich bereits daran, dass Hamburger Architekturstudenten keine andere Typologie mehr erlernen.

Selbstredend schafft die vermehrte Vergabe von Baugenehmigungen dem entsprechenden Berufsfeld, sprich Wohnungsbauunternehmen und Investoren, eine hervorragende Situation. Da für diese Branche optimierte Flächennutzung ein elementares Thema darstellt, ist ein weiterer Aspekt gefunden, der den inflationären Flachdachbau vorantreibt. Keine andere Gebäudetypologie lässt eine derartig optimierte Flächennutzung zu. Wo Letztere das A und O ist, haben Verfechter der Baukultur viele Kritikpunkte anzusetzen. Wenn man bedenkt, dass Backsteinbauten das Gesicht sind, das Hamburgs Stadtbild prägt oder für lange Zeit geprägt hat, besteht die Kritik am neuen Bauen aus baukultureller Sicht zu Recht. Denn nicht nur die Optik, sondern auch die Qualität entspricht mitunter nicht den höchsten Ansprüchen.

Warum aufwendige Klinker verbauen, wenn Riemchen es auch tun? Auch das bereits von vielen Seiten kritisierte Wärmedämmverbundsystem (WDVS) scheint zum Standard geworden zu sein, wo schnell lukrativ zu verkaufende Quadratmeter geschaffen werden sollen. Das Wohnklima muss nicht zwingend gut sein, wo umfassend gedämmt wurde. An der Qualität der in der Kürze der Zeit zu schaffenden Wohnungen darf also mitunter gezweifelt werden. Die eine oder andere bereits nach kurzer Zeit leuchtend grüne, ehemals weiße, Fassade moderner Neubauten belegt dies eindrucksvoll.

Weiterhin ist nicht jedes der neuen mehrgeschossigen Wohnhäuser eine Augenweide, die die Gegebenheiten des Stadtbildes aufgreift, ergänzt oder dem Zeitgeist anpasst. Futuristisch und kubisch muss es um jeden Preis sein, von planerischen Raffinessen lässt sich mancherorts nur träumen. Sicherlich ist Ästhetik mitunter fehl am Platz, wo in sehr kurzer Zeit sehr viel Wohnraum entstehen muss. Wer dringend ein Dach über dem Kopf braucht, das er mit seinem möglicherweise schmalen Einkommen auch bezahlen kann, kann auf derlei Dekadenz keinen Wert legen. Schnell und zahlreich Wohnraum zu schaffen, ist das Gebot der Stunde. Aber dennoch: Sollen die zugehörigen Bauten nicht auch in künftigen Dekaden noch dazu beitragen, den Charme einer Stadt und ihres Stadtbildes zu erhalten? Darf nicht auch bei Großbauten der baukulturelle Gedanke zumindest angedacht werden?

Gesetzgebung greift Befürchtungen vor

Würden die zehn Punkte der Wohnungsbau-Offensive des Bündnisses für bezahlbares Bauen und Wohnen stets umgesetzt, wären die Folgen für Quartiere und Wohnqualität durch den Bauboom eher positiv. Dieses sind die besagten Punkte:

  1. Bauland bereitstellen und Grundstücke der öffentlichen Hand verbilligt und nach Konzeptqualität vergeben
  2. Wohnsiedlungen nachverdichten und Brachfläche und Baulücken schließen
  3. Soziale Wohnraumförderung und genossenschaftliches Wohnen stärken
  4. Zielgenaue steuerliche Anreize für mehr bezahlbaren Wohnraum schaffen
  5. Bauordnungen harmonisieren – Aufwand reduzieren
  6. Normen, Standards und gesetzliche Anforderungen im Bauwesen auf den Prüfstand stellen
  7. Serielles Bauen für ansprechenden und günstigen Wohnraum forcieren
  8. Stellplatzverordnungen flexibler ausgestalten
  9. Energieeinsparungsgesetz (EnEG), Energieeinsparverordnung (EnEV) und Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz (EEWärmeG) strukturell neu konzipieren
  10. Gemeinsam für mehr Akzeptanz von Neubauvorhaben werben

Zu dem 10-Punkte-Programm der Wohnungsbau-Offensive des Bündnisses für bezahlbares Wohnen hat auch die Bundesarchitektenkammer Position bezogen. Zu Punkt eins äußert sie sich unter dem Oberthema „Bezahlbarer Wohnraum für alle“. Hierzu stellt die Kammer verschiedene zielführende Vorgehensweisen vor. So soll die Entwicklung der städtischen Innenräume stets Vorrang vor der Bebauung neuer Flächen im Außenbereich haben. Des Weiteren fordert die Bundesarchitektenkammer in diesem Zuge die Kommunen dazu auf, regelmäßiger von der Möglichkeit der Festsetzung von Flächen, die dem sozialen Wohnungsbau vorbehalten sind, Gebrauch zu machen. Nur so könnten die Möglichkeiten der Bebauungsplanung vollends ausgeschöpft werden. In diesem Zuge sollte auch die Baunutzungsverordnung (BauNVO) intensiver überprüft werden. Auch sollten frei werdende sowie brachliegende innerstädtische Grundstücke konsequenter entwickelt und genutzt werden. Das heißt, Baulücken sollen geschlossen, großzügige Bebauungen verdichtet und Konversionsflächen erschlossen werden. Auch ruft die Bundesarchitektenkammer die Bundesanstalt für Immobilien dazu auf, die Aktivierung von Flächen und Bauland für den Wohnungsbau zu aktivieren und darauf zu verzichten, Grundstücke nach dem Prinzip des Höchstgebots zu vergeben. Weiterhin sei eine differenzierte Grunderwerbssteuer für den öffentlich geförderten Wohnungsmarkt das richtige Signal in Richtung der Investoren.

Zum zweiten Punkt, „Wohnsiedlungen nachverdichten und Brachflächen und Baulücken schließen“, äußert die Bundesarchitektenkammer sich wie folgt: Die Regionalplanung soll gestärkt werden, interkommunale Zusammenarbeit soll zum Schaffen von Wohnbauflächen angewandt werden. Überdies muss die BauNVO an geänderte Wohn- und Arbeitsverhältnisse in unserer Gesellschaft angepasst werden, die sie nicht mehr ausreichend abbildet. Immer wieder betont das Papier der Bundesarchitektenkammer überdies die Notwenigkeit der Nachverdichtung in Form etwa des Schließens von Baulücken, der Nutzung innerstädtischer Brachflächen und Aufstockungen. In diesem Zuge müssten die bauordnungsrechtlichen Rahmenbedingungen weiterentwickelt werden – etwa Trauf- und Firsthöhenbeschränkungen.

Sehr interessant ist die Aussage der Bundesarchitektenkammer zu Punkt 7 des 10-Punkte-Programms „Serielles Bauen für ansprechenden und günstigen Wohnraum forcieren“. Der serielle Wohnungsbau sei als Chance zu begreifen, wenn er baukulturellen Werten verpflichtet sei. Die gut nachvollziehbare Begründung ist, dass diese Art des Bauens keine Neuerscheinung sei. Vielmehr seien es stets Architekten gewesen, die vor dem Hintergrund akuter Wohnungsnot innovative Beiträge geleistet haben. Die Architektenkammer betont, dass serielles Bauen dann Akzeptanz findet, wenn es sich kleinteilig in das vorhandene Siedlungsgefüge integriert und an die vorhandene Infrastruktur angebunden ist. Um den Bereich des seriellen Wohnungsbaus, der großes Potenzial für Kostenersparnisse bietet, weiter zu erschließen, sei der Planungswettbewerb das Mittel der Wahl. Diese Forderung kann die Chance für Architekten sein, wieder – gemäß den geänderten Anforderungen an den Wohnungsbau – das Stadtbild mitzugestalten.

Eine deutliche Position bezieht die Architektenschaft auch gegenüber dem Punkt 9 des Programms „Energieeinsparungsgesetz (EnEG), Energieeinsparverordnung (EnEV) und Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz (EEWärmeG) strukturell neu konzipieren“. Denn die EnEV sei ein maßgeblicher Auslöser für den stetigen Anstieg der Baukosten. So lässt sich für den energetischen Standard ab 2016 die Wirtschaftlichkeit nicht mehr nachweisen, da mit den kommenden Auflagen das Bauen um weitere 7,3 Prozent verteuert wird. In diesem Zusammenhang sollen auch EnEV und EEWärmeG zusammengefasst werden – so können die Anforderungen an regenerative Energien dem Wirtschaftlichkeitsgebot unterliegen.

Fazit

Die Wohnungsbauoffensive ist eine Chance – für ausreichenden, bezahlbaren Wohnraum und für eine Gestaltung der Städte, die den heutigen Ansprüchen an Leben und Arbeiten gerecht wird.

von Gina Doormann

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