Seit Tagen quäle ich mich als Innenarchitekt mit dem nun schon wieder verbrauchten, weil massenhaft benutzten Begriff „Nachhaltigkeit“ zum Fachbeitrag unseres neuen BDIA-Handbuches herum. Meine Kenntnisse zum Thema und meine Ideen dazu sind ziemlich klar, jedoch frage ich mich öfters, was sind meine Erfahrungen aus dem Osten, der DDR, heute noch wirklich wert in unserer westlichen, europäischen Welt.
Als ich elf Jahre alt war habe ich die Hände von Dürers Mutter nachgezeichnet und wenn ich heute daran denke, dann frage ich mich, was mich so an diesen alten Händen fasziniert hat. Nach mehr als zehn Jahren, so denke ich heute, erhielt ich eine Antwort auf diese Frage. Ich hatte gerade begonnen, Formgestaltung zu studieren und ar- beitete mich mit Angst und Hoffnung durch die Grundlagen der Gestaltung. Genau beim Zeichnen von Ästen, Blüten und den Strukturen von Rinden erfuhr ich voller Glück und Schmerz, dass es viel Mühe und noch viel mehr Zeit braucht – manches mal ein ganzes Leben – so empfinde ich es heute, um zu verstehen. Mein Studium als Formge- stalter war erfüllt von den Zielen, für die Gesellschaft langfristig und weitblickend Produkte und Konzepte zu ent- wickeln, mit denen wir in der sozialistischen Gesellschaft der Kapitalistischen echte Alternativen gegenüberstellen könnten.
Langlebigkeit, funktionelle Erfüllung und feinfühliges Vorausdenken für Rezipienten, Zielgruppen und gesellschaftliche Entwicklungen, so wie wir uns diese vorstellten, waren hohe Ziele und nicht immer leicht zu erreichen. Der Funktionalismus und der Hauch des Bauhauses, unsere Lehrer, die ihre glücklichen und internationalen Erfahrungen aus den 1950er und -60er Jahren mit in die Ausbildung gebracht haben, haben uns gelehrt, in die Zukunft zu schauen und für unsere Kinder zu sorgen. Skandinavisches Design haben wir von Anfang an geliebt, hier war die Einheit von Handwerk und Industrie förmlich zu spüren.
Seit 24 Jahren arbeite ich nun freiberuflich in der Architektur als Innenarchitekt und im Design. Meine großen Vorbilder Henry van de Velde, Arne Jacobsen, Alvar Aalto und Verner Panton haben für mich und für viele Architekten und Gestalter unserer Zeit Zeichen gesetzt. Weniger ist Mehr, das Denken, Handeln, Gestalten und Planen ganz im Sinne der erfolgreichen Unternehmung zum Wohle der Gesellschaft einzusetzen, sind hoheitliches Streben nach Bestand und Wohlergehen und immer im Kontext mit unserer Basis, der Natur Erde.
Der Begriff Nachhaltigkeit ist für uns neu, früher hieß es Langlebigkeit oder auch „für immer und ewig“. Dieses und viele andere Begriffe, Worte und Ausdrucksformen bezeichnen das sich entwickelnde Bewusstsein für ein Wertesystem in unserer Zeit, welches sich gegen den unendlichen Werteverlust wendet. Neu sind diese Erkenntnisse nicht, sie wiederholen sich in der Geschichte der Menschheit.
Mit dem Wissen und dem Gefühl, dass wir alle eine Verantwortung für unsere Erde und deren Bewohner haben, frage ich mich in meinem Beruf als gestaltender Innenarchitekt seit Jahren schon, was ich hierfür tun kann. Ganz klare Antworten und Techniken kann ich heute noch nicht formulieren. Im wöchentlichen Yoga spüre ich die Stärke und die Möglichkeiten für mich als Individuum und versuche im beruflichen Alltag dafür eine Übersetzung zu finden. Auch in meiner Männergruppe geht es um den Kern unseres Seins.
Innenarchitekten beschäftigen sich mit der Seele des Unternehmens, des Inhabers und Betreibers und versuchen die Ziele der Unternehmungen mit deren Umgebungsqualitäten in einer konstruktiven Lösung der Gestaltungsauf- gabe im Raum, mit der Architektur und deren Kommunikation, zu formulieren. Klingt gut und macht Spaß!
Wo sind die Möglichkeiten für den Innenarchitekten, etwas zu kreieren, das emotional und auch funktionell begeistert und die Nachhaltigkeit des Geschaffenen beweist? Welche Möglichkeiten, Mittel und Methoden sind uns gegeben, langlebig im Sinne unserer Weltwirtschaft und der natürlichen Grundlagen gestalterisch und die Unter- nehmung fördernd tätig zu sein? Eine komplexe Antwort kann ich nicht geben, lediglich will ich hier erzählen, was sich in meinem Bewusstsein als 23 Jahre praktizierender Gestalter heraus kristallisiert hat und was ich gemeinsam mit meinen Mitarbeitern praktisch dafür tue.
Im Jahr 2002 wurde ich gebeten, für ein kleines, mittelständiges Unternehmen eine Fabrik zu gestalten. Während der Planung aller Gewerke entdeckte ich damals einen Hersteller, der aus Getreide und dessen Stroh die Strohbau- platte wiedererfunden hatte. Über 100 Jahre zuvor gab es dieses Produkt, aus der Nachhaltigkeit zur Verwendung von Restverwertung hervorgegangen, bereits. Beim raumbildenden Ausbau der Stahlkonstruktion des gewerblichen Objekts wurden Strohbauplatten sowohl für die Innenwände als auch für die Fußböden und Deckensegel verwen- det. Im Vergleich mit dem Trockenbausystem Gipskarton konnte das gewerbliche Projekt mit einfachen, handwerk- lichen Holzbearbeitungswerkzeugen erstellt und ohne Nachbearbeitungszeiten für Schleifen und Spachteln eine gute Oberfächenqualität erzielt werden. Akustisch, raumklimatisch und vor dem gesundheitlichem Aspekt ist das neue System der natürlichen, nachwachsenden Rohstoffelemente auch nach mehr als zehn Jahren nicht mit den bekannten Trockenbausystemen vergleichbar. Sowohl in der Herstellung und in der Anwendung energetisch be- trachtet, als auch bei der Entsorgung müssen die Vergleichswerte zum Klassiker im Trockenbau nicht gepusht werden, sie überzeugen von selbst.
Inzwischen konnte ich über viele Jahre mit Hochschulen und Universitäten verschiedenste Studien für Häuser als selbsttragende Strohbaukonstruktionen, für Montagebungalows in Indien und auch für eine Berghütte im Thüringer Wald realisieren und weitere Projekte mit Professoren und Studenten begleiten. Derzeit praktizieren wir den Versuch, das reine Naturmaterial im gewerblichen Ausbau von Shops und Gastronomie im Rahmen von standardisierten Vorschriften beim Innenausbau von Shopping Malls einzuführen. Gerade hier müssen die Barrieren von Vorschriften im Brandschutz, der Hygiene und der weiteren gesetzlichen Vorschriften wie z.B. Zertifizierungen überwunden werden, um ein nachhaltiges, natürliches und ohne große Energieaufwendungen zu entsorgendes Halbzeug in Anwendung zu bringen. Ins Erzählen gekommen, schaue ich zurück und sehe noch einmal, dass alles damit begon- nen hat, die alten, zerfurchten und knochigen Hände der Mutter Dürers noch heute vor meinen Augen und die Er- fahrung gemacht zu haben, wie schwer, ja unmöglich es war, das vielfältige Leben dieser lebenserfahrenen Frau mit Bleistift nachzuzeichnen und festzuhalten. Nachhaltige Gestaltung und das dem gemäße Bauen heißt, aus unserer Vergangenheit zu schöpfen und zu verstehen, wie es uns gelingt, mit und bei unseren Vätern und Müttern zu sein, wie es gelingt, ganz bei uns zu sein. Das Streben nach Größe, Macht und Reichtum weicht der Suche nach dem Sinn des Lebens.
von Jens Thasler, Partner von ArchitektenScout seit 2004
Dipl.Formgestalter
Freier Innenarchitekt BDIA
*1960 Karl-Marx-Stadt, heute Chemnitz / Sachsen
1976 –1979 Mechanikerlehre für Datenver- arbeitungs- und Büromaschinen 1981–1986 Studium an der Hochschule für Industrielle Formgestaltung Halle Burg Giebichenstein, Abschluß Diplom Formge- stalter / Designer
1986 –1990 Mitarbeiter F&E (Forschung und Entwicklung) Hochschule für Industri- elle Formgestaltung Halle-Burg Giebichen- stein; Industrieaufträge und Tätigkeit als Assistent in der Ausbildung
1989 – 2014 Aufnahme in den VBK der DDR, Zulassung als freiberuflicher Designer. Gründung des Gestaltungs- und Planungs- büros Realisierung zahlreicher Projekte für öffentliche und private Auftraggeber, ge- werbliche Unternehmen und Institutionen. 1994 Mitglied der Architektenkammer und seit 2007 des BDIA
Erfahrungen in Entwurf, Planung und Durch- führung komplexer Projekte und Einzelauf- gaben. Praktisches Wissen im Zusammen- hang von Akquise, Kosten, Projektplanung und Durchführung sowie Baubetreuung. www.designer-architekt.de
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Kommentare
Hallo Herr Gebersroither, genau so ist es. Wir arbeiten hier ebenso mit istraw zusammen und möchten in Zukunft auch ein Systemhaus mit Lehm beschlickerten Strohbauplatten entwickeln. Dazu suchen wir auch noch Partner . Schöne grüße aus Thüringen!
Handelt es sich bei den Strohbauplatten um die von istraw? (www.istraw.de). Wir haben diese auch bei einem Projekt in der Nähe von Trier verwendet und waren sehr zufrieden. Eine sehr gute Alternative zu Gipskarton.