Trotz des hohen Ziels alle Künste unter der Architektur zu vereinen, wurde erst 1927 – als die Hochschule bereits nach Dessau umgezogen war – eine eigene Architekturabteilung am Bauhaus gegründet. Diese wurde vom Schweizer Architekten Hannes Meyer als Meister geleitet, der kurz darauf auch Direktor des Bauhauses Dessau wurde. Unter Meyer politisierten und radikalisierten sich die Bauhaus-Studenten zunehmend; die Folge war seine fristlose Entlassung im Jahr 1930 durch den noch immer sehr einflussreichen Walter Gropius und den Bürgermeister der Stadt Dessau. Der Architekt Ludwig Mies van der Rohe wurde sein Nachfolge als Direktor.
form follows function?
Der Architekt Louis Sullivan, ein Vertreter der Chicagoer Schule, prägte bereits 1896 den Gestaltungsleitsatz „form follows function“, den das Bauhaus später aufgriff. Ursprünglich wollte Sullivan darauf hinweisen, dass auch Zierrat zur Funktionalität eines Gebäudes zählt. Bereits der österreichische Architekt Adolf Loos kritisierte das Bauhaus für deren Interpretation als „Verzicht auf Ornament“ in der Architektur. Seiner Meinung nach zählen auch großformatige Glasfassaden, wie sie zum Beispiel beim Werkstättengebäude des Bauhauses Dessau umgesetzt wurden, als Verzierung.
Bauhaus Dessau
Die meisten realisierten Gebäude des Bauhauses befinden sich in Dessau. Mit dem Bauhausgebäude (Architekt: Walter Gropius) wurde das Bauhaus Dessau zum Inbegriff des Internationalen Stils, der durch klare Kuben und curtain walls (gläserne Vorhangfassaden) gekennzeichnet ist. Wie auch beim Musterhaus Haus am Horn wurden die Bauhaus-Werkstätten wieder in die Gestaltung der Inneneinrichtung einbezogen. Die gläserne Vorhangfassade nutzte Walter Gropius bereits 1914 beim Bau der Schuhleistenfabrik Fagus in Alfeld, die seit 2011 zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt.
Der gesamte Gebäudekomplex ist weiß gestrichen und nach seiner Funktionalität in unterschiedliche Baukörper gegliedert. So gibt es den dreigeschossigen Werkstattflügel, den ebenso hohen Flügel der Berufsschule und ein fünfgeschossiges Ateliergebäude. Eine zweigeschossige Brücke verbindet die beiden gleichhohen Flügel und beherbergte beispielweise die Verwaltung und das Gropius Architekturbüro. Die Verbindung zwischen dem Werkstattgebäude und dem Atelierhaus mit den markanten Balkons schafft die eingeschossige Festebene (Mensa, Aula und Bühne).
Drei weitere markante Bauhaus-Gebäude finden sich nur unweit des Bauhausgebäudes in Dessau: die Meisterhäuser von Walter Gropius. Sie dienten als Musterhäuser, wurden aber auch von den Meistern und ihren Familien bewohnt. Ursprünglich existierten vier Meisterhäuser: ein Einzelhaus für Gropius und drei Doppelhäuser für die Familien von László Moholy-Nagy und Lyonel Feininger, Wassily Kandinsky und Paul Klee sowie Georg Muche und Oskar Schlemmer. Die Häuser von Gropius und Moholy-Nagy wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört. Seit 2015 finden sich an ihrer Stelle zwei Neuinterpretationen von Bruno Fioretti Marquez Architekten.
Die ursprünglichen Meisterhäuser bestehen aus mehreren, ineinander verschachtelten kubischen Baukörpern. Diese sind von den großen Fenstern der Ateliers und durch die vertikalen Fensterbänder der Treppenhäuser aufgebrochen. Bei der Farbgestaltung wird bereits der Einfluss der De-Stijl-Bewegung deutlich: Von außen dominiert eine helle, fast weiße Wandfarbe, die nur durch einzelne dunkelgraue Elemente an den Fenstern und Balkonen kontrastiert wird. Im Inneren wurden vor allem die drei Primärfarben (Rot, Gelb, Blau) verwendet, allerdings in unterschiedlichen Nuancen und Helligkeiten.Die Grundrisse der Doppelhaushälften sind im Erdgeschoss gleich, sind jedoch gespiegelt und um 90 Grad gedreht. Im Obergeschoss variieren sie marginal.
In Dessau finden sich noch weitere Gebäude der Bauhaus-Architekten. Zum Beispiel die Trinkhalle von Ludwig Mies van der Rohe, das Kornhaus von Carl Fieger, das Konsumgebäude von Walter Gropius oder das Stahlhaus von Georg Muche und Richard Paulick.
Einfluss von De-Stijl auf das Bauhaus
„Es ist das Ziel der neuen Architektur, sich gegen die Ästhetik des Gefühls aufzulehnen und konsequent die mechanische Ästhetik zu verwirklichen.“ Theo van Doesburg
Das Bauhaus wurde auch durch die „Ästhetik der Moderne“ nach dem Architekten Theo van Doesburg beeinflusst. Er war Vertreter der holländischen De-Stijl-Bewegung, der ebenso andere berühmte Künstler wie Piet Mondrian oder J. J. P. Oud angehörten. Sie reduzierten ihre Werke auf strenge, geometrische Grundformen, horizontale und vertikale Gliederungen sowie auf die drei Primärfarben Rot, Gelb und Blau und die drei Nicht-Farben Schwarz, Weiß und Grau. Auch De-Stijl strebte die Schaffung von Gesamtkunstwerken unter der Architektur und den Bildenden Künsten an.
Bereits 1920 traf van Doesburg in Berlin auf die Architekten Walter Gropius, Adolf Meyer und Bruno Taut. 1921, mit seinem Umzug nach Weimar, griff Theo van Doesburg massiv in die Arbeit des Bauhauses ein. Obwohl er keine Meistertätigkeit inne hatte und nur Kurse neben dem normalen Stundenplan gab, hatten seine Lehren starken Einfluss auf die Schüler des Bauhauses. Er legte den Schwerpunkt seiner Arbeit auf die Vermittlung architektonischen Gestaltens. Van Doesburg kritisierte vor allem den Grundkurs von Johannes Itten. Nachdem sich auch Gropius bei der Bauhaus-Ausstellung in Weimar gegen die Ideale von Itten wandte, verließ dieser das Bauhaus.
Der Einfluss von Theo van Doesburg auf das Bauhaus ist besonders bei den Design-Produkten unverkennbar: Immer im Hinblick auf die praktische Nutzung wurden Industrieprodukte in streng kubischen Formen und Primärfarben mit der klaren Formgebung der holländischen De Stijl-Bewegung gestaltet. Beispielhaft seien die Bauhaus-Wiege von Peter Keler, das Schachspiel von Josef Hartwig und der Sessel F51 von Walter Gropius genannt.
Mythos Bauhaus
Das Bauhaus Dessau und der Deutsche Werkbund sind zum Inbegriff einer Revolution in der Architektur geworden, deren zeitliche und räumliche Nähe einen Teil des Mythos Bauhaus ausmachen.
In den 1920ern wurden sie zu den Stichwörtern des Neuen Bauens. Damit wird eine Periode der Neuen Sachlichkeit – einer Stilrichtung in der Kunst, Architektur und dem Kunsthandwerk der 1920er und 1930er – bezeichnet.
Indem sie die gestalterische und funktionale Zweckmäßigkeit betonten, versuchten die Architekten des Neuen Bauens, sich vom Historismus, aber auch vom Expressionismus abzuwenden. Stahl, Glas und Beton sind die Materialien dieser Architektur. Eine einfache Formensprache – wider einer reinen Fassadenarchitektur – ist Teil der Philosophie: Geometrische Grundformen, häufig rationelle kubische Baukörper, gerade Linien sowie Funktionalismus und Minimalismus kennzeichnen diesen Architekturstil.
Bis heute zählen die damaligen Mitglieder des Deutschen Werkbundes und des Bauhauses zur Avantgarde der modernen Architektur. Mit Walter Gropius und Mies van der Rohe seien nur zwei Vertreter des Neuen Bauens genannt.
Interpretationen des Bauhausstils in der Architektur des 21. Jahrhunderts
Spricht man heute vom „Bauhausstil“ in der Architektur, so meint man häufig Wohngebäude, die sich optisch an die Meisterhäuser des Dessauer Bauhauses oder an die Bauten des Werkbundes (beispielsweise Weißenhofsiedlung) anlehnen, also letztendlich dem Neuen Bauen zugeordnet werden können. Bauunternehmen und Architekten interpretieren jene berühmten und beliebten Bauwerke, schaffen aber – in Verbindung mit dem Design der Neuzeit – eigene, zeitgenössische Werke von unterschiedlicher Qualität.
Mit „Bauhausstil“ wird vor allem die klare, kubische und reduzierte Bauweise verbunden. Häufig finden sich Flachdächer, weiß gestrichene Wände und die sehr beliebten offenen Grundrisse. Die Preisspanne für diese Architektur ist breit gefächert, ebenso wie die Bauweisen und die Qualität der Ausführung: Neben Architektenhäusern finden sich auch Fertighäuser unter dem Stichwort „Bauhausstil“ wieder. Gelegentlich entsteht der Eindruck, dass „Bauhausstil“ auch nur ein Stichwort von Marketingexperten ist. Ebenso gibt es aber auch hochwertige Wohnhäuser, die mit einer überlegten Kubatur, großzügigen Grundrissen und intelligenten Details in den Fachmedien und sicherlich bei den Bauherren punkten können. Diese möchten wir Ihnen im Folgenden vorstellen.
Wenn Sie weitere empfehlenswerte Beispiele kennen, freuen wir uns auf einen Kommentar von Ihnen.
Gute Beispiele aus Deutschland: Zeitgenössische Architektenhäuser im Bauhausstil
- Villa von Alexander Brenner Architekten, die sich durch ihre überlegte Kubatur gut in die Landschaft einpasst und dennoch ein Blickfang ist.
Tipp: Schauen Sie sich auch einmal die anderen Bauprojekte von Alexander Brenner Architekten an! Darin finden Sie zahlreiche gute Beispiele für moderne Architektur. - Überlegte Kubaturen, großzügige Grundrisse und schlichte Eleganz kennzeichnen auch die Architektur von Fachwerk4 | Architekten BDA. Besonders hervorzuheben sind die Projekte Haus Eifel und Haus W in Montabaur.
- Moderne Formensprache muss sich gelegentlich auch an den örtlichen Bauvorgaben orientieren. Das ein Pultdach und moderne Architektur dennoch harmonieren können, zeigt das Architekturbüro HPA+ beim Projekt „Haus F“ in Bergisch Gladbach.
- Auch bei Kröger Daniels Architekten BDA aus Köln lassen sich mehrere Interpretationen des Bauhausstils finden. Hervorzuheben sind das Wohnhaus in Euskirchen und die Villa in Bonn Ippendorf.
- Oxen Architekten entwarfen in der Kölner Waldsiedlung ebenfalls eine Villa, die sich an der Gestaltung des Bauhauses zu orientieren scheint. Besonders gelungen ist die Übereck-Verglasung über zwei Geschosse.
- Bei Philipp Architekten aus Baden-Württemberg finden sich ebenfalls mehrere, sehr hochwertige Beispiele für moderne Architektur. Mit der Flachdachvilla in Pfaffenhofen gewann die Architektin Anna Philipp den Wettbewerb „Haus des Jahres 2014“ von Schöner Wohnen.
Buchempfehlungen
- „Bauhaus“ von Magdalena Droste. 2012 erschienen im TASCHEN Verlag (verfügbar ab August 2015). ISBN: 978-3-8365-6011-5
- „Bauhaus“ von Janine Fiedler. 2011 erschienen im h. f. ullmann Verlag. ISBN: 978-3-8331-4347-2
- „Bauhaus Dessau: Architektur-Gestaltung-Idee.“ der Stiftung Bauhaus Dessau (Hrsg.). 2007 erschienen im Jovis Verlag. ISBN: 978-3-939633-11-2
- „bauhaus design“ von Peter Polster. 2009 erschienen im DuMont Buchverlag. ISBN: 978-3-8321-9167-2
- „Bauhausstil. Zwischen International Style und Lifestyle“ von Regina Bittner. 2003 erschienen im Jovis Verlag. ISBN: 3-936314-90-X
- „Das Bauhaus Reisebuch. Weimar. Dessau. Berlin.“ vom Bauhaus-Archiv Berlin, der Stiftung Bauhaus Dessau und der Klassik Stiftung Weimar. 2012 erschienen im DuMont Verlag. ISBN: 978-3-8321-9411-6
- „Das Bauhaus: Weimar, Dessau, Berlin 1919 – 1933“ von Hans M. Wingler. 2002 erschienen im DuMont Buchverlag. ISBN: 978-3-8321-7153-7
Weitere Informationen
Sowohl das Bauhaus Dessau als auch die Meisterhäuser und das Haus am Horn können im Rahmen von Führungen besichtigt werden, die ich an dieser Stelle gerne weiterempfehlen möchte. Für den Besuch der Bauhaus-Stätten bietet sich auch die Bauhaus App an.
Zudem finden in Weimar, Dessau und Berlin viele Veranstaltungen zum Thema Bauhaus statt. Vor allem zum Jubiläum „100 Jahre Bauhaus“ (2019) sind zahlreiche Festveranstaltungen geplant. Ebenfalls einen Besuch wert sind die Museen rund um das Bauhaus: das Bauhaus-Archiv und Museum für Gestaltung in Berlin und das Bauhaus Museum in Weimar.
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